MONDE 3
Order die kunst jemanden in eine andere Welt zu schicken
Gloria Friedmanns Danse Macabre
Der Mensch tritt sich gegenüber. Seine Gestalt verdoppelt, vervielfältigt, ins Unendliche reproduziert. Wer bin ich? Wo bin ich? Verlust der Identität, Verlust des Ortes. Und umkreist von Knochen in einem unendlichen Tanz. Das ist Gloria Friedmanns Welt 3, jenes Spiegelkabinett, Herzstück des Zyklus Welt 3 und die Kunst des Überlebens in der Ausstellung im Diözesanmuseum Freising. Um's Überleben ging es auch in Gloria Friedmanns Installation Green Piece, die sie 1999 im Rahmen der Ausstellung Schöpfung für Freising geschaffen hatte. Tote Bäume, leblose Paradiesvögel, die Fülle und Schönheit der Welt nur noch als Erinnerung an eine intakte Natur in Zeiten ihrer Zerstörung: ein kritischer Kommentar jenseits jeder Sentimentalität und Aufforderung, Verantwortung zu übernehmen.
In ihrer Einzelausstellung fasziniert zunächst das Wunderwerk des Spiegels, der dem Betrachter sein eigenes Bild enthüllt. Die Verblüffung nach wie vor über die optischen Effekte, das Entzücken über die Täuschung, die Illusion. Man tritt ein und kostet die Wirkung seiner Bewegungen aus. Phantastische Transpositionen in inexistente Räume wie auch Maschinerien zur Produktion von unglaublichen und zauberhaften Schauspielen haben wie man weiß eine lange Tradition. Jurgis Baltrusaitis erzählt in seiner Geschichte des Spiegels, wie aus den verspiegelten Möbelstück-Kabinetten in den Kuriositäten- und Raritätenkammern des 17. Jahrhunderts ganze Spiegelsäle und Spiegelgalerien werden. In der Ars Magna lucis et umbrae (1646), einem Werk in der Tradition der Katoptrische(n) Magie oder wunderbare(n) Darstellung der Dinge durch die Spiegel des Hero von Alexandria (2. Jahrhundert vor Christus) etwa ist ein kleines Haus abgebildet (ca. 6,50 x 3,50 m) – es befand sich einem Fürstenpalast in Rom -, dessen gesamter Innenraum mit Spiegeln bedeckt war. Beim Betreten geriet die Umgebung in Bewegung, die Menschen wurden zu Akteuren in einem Schauspiel, dessen Programm mit dem Satz beginnt: "Du siehst dich ins Unendliche vervielfacht..." Wie raffinierter Zeitvertreib und vernünftige Kurzweil, Vergnügen und Lernen, Unterhaltung und Aufklärung sich in einer "kunstvollen Wissenschaft" verbanden (Barbara Maria Stafford), so gehören die Lust am Schauen, der visuelle Reiz und das Nachdenken in Gloria Friedmanns Installationen zusammen: nach der Reflexion im Spiegel also die Reflexion im Denken. Den Spiegel setzt sie ein als Faszinosum wie als Medium der Selbsterkenntnis und Metapher der Wahrheit.
Da tritt das Leben auch dem Tod gegenüber. Tanz der Knochen. Und wenn diese, von Tieren stammend, auch eher abstrakt erscheinen und nicht direkt anatomisch zuzuordnen, die Rippen eher zeichnerisch wie Striche dahin geworfen sind, so handelt es sich doch offenkundig um einen Totentanz. Paradigma für Endzeit, Untergang, Auflösung (Gert Kaiser, Der tanzende Tod). Seit dem ausgehenden Mittelalter und seinen grauenvollen Katastrophen der Pest ist der Tod solchermaßen Thema der Kunst. Lebensgroß an die Mauern von Friedhöfen und Beinhäusern, an die Wände von Kirchen und Kreuzgängen gemalt: Da zerrt der Tod den Papst ebenso wie den Waldbruder, den Kaiser wie den Bettler in seinen wilden Tanz, der Greis muß mit und auch das Kind. Memento mori wollten diese Bilder sein, die die einfachen, hölzern didaktischen Verse illustrieren. Der Totentanz lebt von der Faszination des Grausigen, und beklemmend rührt er an tiefsitzende gemeinsame Ängste. Er ist aber immer auch magische Form des Bild- und Abwehrzaubers, immer auch Bannung und Beschwörung. An diese Möglichkeit der Kunst, den Schock des Todes ästhetisch zu erleben und zu bannen, knüpft Gloria Friedmann an. Gegen den Schrecken und gegen die Verdrängung des Todes steht in der dynamischen Interaktion von Betrachter und Gebein der Austausch von Leben und Tod. Die Umkehrbarkeit des Lebens durch den Tod wird bewußt und so, in zyklischer Umkehrung, der Tod als die Bedingung von Leben.