Olaf Otto Beckers Grönland Photographien sind eine Entdeckung: die Entdeckung der überwältigenden Schönheit eines entlegenen Teils unserer Erde und die Entdeckung eines Künstlers, dessen Blick auf die Landschaft einzigartige Bilder hervorbringt.
Im Licht der Nacht photographiert, magisch ohne Schatten: Licht und Raum, die Strukturen der Erdoberfläche, des Wassers, des Horizontes, die Tönungen der Himmels. In betörendes Licht getaucht und in Grau modelliert, spektakuläre Formationen und spröd asketische, diffus blass reduzierte Landschaft.
Olaf Otto Beckers Arbeiten haben nichts gemein mit traditioneller Landschaftsphotographie. Man hat seinen ersten Zyklus "Under the Nordic Light", der 2005 in Island entstanden ist, mit Malerei verglichen. Und in der Tat ist in ihrer Melancholie und abgründigen Ikonographie der Leere etwas von der Erhabenheit der romantischen Landschaftsmalerei des 19. Jahr-hunderts bewahrt.
Kleinste Linien und Formen sind sichtbar, die Algen auf dem Fels, die Strudel des Meeres, winzige Details wie Ornamente erscheinen in der hohen Auflösung und der Perfektion und Qualität des Drucks von eigener Hand ohne digitalen Eingriff. Beckers zweite Serie "Broken Line" ist noch strenger komponiert, kunstvoller. Die Majestät der Gletscher, die Weite der vulkanischen Ebene, treibende Schollen: die beobachteten Elemente sind durch das Auge gleichsam arrangiert zu Tableaux der Ruhe, der Ereignislosigkeit, zu Metaphern der Einsamkeit. Der Strom der Zeit ist hier ein anderer als der "rasende Stillstand" der Welt.
Auf der Grenze von Unbewohnbarkeit und Leben bewegt sich der Künstler. Keine Lebewesen, aber menschliche Behausungen kommen in den Blick, das Innere, die warme Stube - das spitzgieblig schlichte Holzhaus, bunt in Rot, Grün oder Blau, umgeben von Gerätschaften des Überlebens; auch befremdlich anmutende Fragmente von Zivilisation wie eine Bootsanlegestelle oder eine Müllhalde.
Der Künstler als der Abenteurer, allein unterwegs im Schlauchboot auf eisigem Meer, den fremden Kontinent zu erkunden, manchmal gar unter Gefahr des Lebens, ein Jäger in der Helligkeit vor Sonnenaufgang, der in Geduld tagelang sein Bild komponiert und wartet, bis er es bannen kann.
Jene Arbeiten sind kein vordergründig umweltkritisches Manifest. Und doch bannen sie Erscheinungen, die nur trügerisch von Ewigkeit zu Ewigkeit existieren, tatsächlich aber sich gefährlich wandeln. So ist Olaf Otto Beckers Oeuvre auch das Dokument einer Zeit, in der Gletscher im erwärmten Klima verschwinden, und darin ein Plädoyer zur Bewahrung der Schöpfung, ein Appell zum Handeln.
"Landschaft" hat in einer Epoche übervölkerter Mega-Städte offenkundig einen besonderen Reiz. Viele zeitgenössische Photographen widmen sich ihr als dem Hort des Ursprünglichen, Unberührten, als letztem Refugium und Idylle in einem Zeitalter ihrer dramatischen Gefährdung. Wir kennen die Bergwelten von Axel Hütte, die Urwälder von Thomas Ruff, die Eisformation von Lynn Davis, "sea-scapes" und "land-scapes" von Hiroshi Sugimoto und die Inselansichten von Olafur Eliasson. Olaf Otto Beckers Zyklus "Broken Line" ist ein einzigartiger Teil dieser Arbeit an der Landschaft.
Petra Giloy-Hirtz