Die großen ruhigen Bilder von Mark Harrington im Lichthof des Diözesan- museums: Sie entfalten im Rhythmus der Arkaden eine Spannung zwischen Linie und Bogen, zwischen Horizontale und Halbkreis. Die wechselnden Durchblicke und die Blicke von oben herab erfassen von weitem Klarheit, Reduktion der Formen, Einfachheit des Bildaufbaus, die Ordnung in der Abfolge der Farben. Aus der Nähe betrachtet öffnet sich die Oberfläche in die Tiefe. Die Illusion eines Raumes entsteht, den man mit den Augen durchwandern kann, wie die Werke der alten Meister aus der Freisinger Sammlung, deren Platz sie nun einnehmen. Eine unendliche Vielfalt der Sprenkel, Schraffuren und Schemen verlockt zum Schauen. Sechs großformatige Arbeiten – in ihren Ausmaßen immer noch bezogen auf den menschlichen Körper – hängen im Lichthof, sechs kleinformatige in der ehemaligen Küche, einem lichtdurchfluteten Gewölbe zu ebener Erde unter der Kapelle des Hauses. Zwei der großen Bilder sind im letzten Jahr entstanden: Grau und Weiß Angel und in wunderbarem Blau Imeeo. Die anderen hat der Künstler nach seinem Besuch des Domberges geschaffen. Die konzeptuellen Elemente sind bald erfaßt und machen die Individualität und Wiedererkennbarkeit des Werkes aus: Zweiteilung des Bildobjektes, lineare Struktur, vordergründig sichtbar der Dialog von jeweils zwei Farben. Die horizontalen Linien laufen über die Leinwand: wie Schrift, Zeilen von Poesie oder wie die Notierung einer Partitur. Sie schaffen ein Ordnungsgefüge noch in ihrer Vitalität und Unregelmäßigkeit. Das Diptychon ist verbindliche Form. Die beiden "Flügel" stehen nebeneinander wie bei der antiken Schreibtafel und dem mittelalterlichen Andachtsbild, oder sie sind übereinander montiert. Der vertikale Falz bricht abrupt die horizontalen Linien, der horizontale, eher unauffällig, verschwindet beinahe in der Textur des Bildes. Dennoch bleibt auch hier die Dichotomie. Sie steht für Differenz und zugleich doch auch für die Möglichkeit eines Ganzen. Die Farben sind warm, ungewohnt, sehr besonders, blasses Gelb, schimmerndes Blau, merkwürdig undefinierbares Violett.
Wie sind diese Bilder gemacht? Woher kommt jene Spannung von transparent und opak, von entrückt und gegenwärtig? Wie entsteht der Eindruck von Tiefe, von sanfter Oberfläche und brillanter Farbigkeit? Der Prozeß des Entstehens ist kein Geheimnis, wenngleich das Ergebnis unberechenbar bleibt, "controlled accident", wie der Künstler sagt. Die Leinwand ist über ein stabiles Kunststoffgehäuse gespannt. Ohne Pinsel, der die Bewegung der Hand direkt übersetzt, ist es ein eher mechanischer Vorgang, in dem ein Rakel in die feuchten Farbschichten Spuren legt. Ein Prozeß körperlicher Kraftanstrengung und meditativer Dauer, von Farbauftrag und Abschleifen, von Spuren legen und Glätten. So kommt es auch, daß die verschiedenen Farbschichten spürbar bleiben, manchmal, in den Vertiefungen und Rissen, auch sichtbar. Die "versteckten" Farben werden erinnert, und ihre Intensität dringt durch alle Schichten hindurch an die Oberfläche. Aber nicht allein wegen ihrer Form sind die Bilder interessant. Über das Materielle hinaus wollen sie eine geistige Erfahrung, ähnlich vielleicht wie die Arbeiten der amerikanischen Malerin Suzan Frecon oder die von Stephan Baumkötter, die wir in Freising gezeigt haben.