Aus der Tiefe des Traumes und aus literarischen Vorstellungswelten kommen Elke Härtels zumeist weiblichen Figuren. Die Künstlerin schöpft aus inneren Bilderwelten eigener Selbsterkundung und aus Märchen, Mythen und religiösen Vorstellungen. Sie knüpft an traditionelle Vorbilder an und holt sie in die Gegenwart: Maria Immaculata, Heloise, Rapunzel. Durch Verwandlung und Verfremdung entwickelt sie eine eigene Bildsprache. Es sind Mädchen oder junge Frauen, eher klein von Format, immer weiß, und tragen oft das Antlitz der Künstlerin. So “realistisch” sie auch geformt sein mögen, immer haben sie etwas Surreales, Bizarres, Absurdes. Sie eröffnen Räume reicher Assoziationen, gleichwohl ohne spezifische Bedeutungen anzubieten. Das Selbstbildnis legt nahe, dass sie Ausdruck der Erfahrungen und Erinnerungen der Künstlerin sind, ihrer Träume und Ängste, “individuelle Mythologien”, deren Reiz gerade in ihrer subjektiven und nicht in einer allgemeinen Lesbarkeit liegt. Merkwürdigkeiten, Rätsel, Chiffren, ein Fundus von Motiven taucht immer wieder auf, wie das Unperfekte des weiblichen Körpers oder Metamorphosen, die in der Berührung mit dem Tier entstehen - Transfer zwischen Mensch und Natur.
Elke Härtel
Inspiriert von der kurzen Erzählung von Patricia Highsmith Leer ist das Vogelhaus, schafft Elke Härtel - als Studierende noch für die Jahresausstellung der Akademie der bildenden Künste München - ein “Schlüsselwerk”, Ohne Titel, 2004: eine aufrechte Mädchengestalt in einem offenen Kästchen, auf ihren Schultern ein Kängeruh, in Polyurethan-Gießharz, weiß lackiert, die Gesamthöhe nicht mehr als 36 Zentimeter. Das Mädchen und das Tier ist damit als ein zentrales Thema gewählt, so im folgenden Jahr Ohne Titel, 2005: ein Mädchen im Kleid mit schmalen herabhängenden Armen, das Geweih eines Hirschen auf dem Haupt, und, ihm gegenüber, der Hirsch selbst, ohne Geweih, mit seiner Zunge des Mädchens Hals leckend. Ohne Titel, 2008: ein Mädchen, nackt auf dem Boden liegend, die Arme leicht aufgestützt, und drei Ameisenbären, die mit ihren Rüsseln an seiner rechten Fußsohle saugen. Und noch eine seltsame Konfiguration, Ohne Titel, 2005: das Mädchen beißt in den Stamm eines Baumes, der, ohne Blätter und Früchte, zu schweben scheint. Das Mädchen – es ist immer das selbe, zierlich, das Haar zu einem Dutt gesteckt - in einer anderen Arbeit im langen Kleid, den Blick gesenkt - mit Verwunderung sieht der Betrachter: ihre Füsse sind die eines Elefanten. Der Titel, einer der wenigen, tanz mit mir, 2006, verstärkt die Beklemmung, die von ihm ausgeht. Scheinbar “realistisch” in der Darstellung und konventionell in der Präsentation auf Sockel oder Tischplatte sind Elke Härtels Figuren von abgründiger Rätselhaftigkeit: wie in der Ausstellung Favoriten in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München 2008, in der Einzelausstellung Verwandlungen im Diözesanmuseum Freising 2012 oder Ferdinand im Pavillon des Klosters Beuerberg 2019..
Baumfrau, Elefantenfrau, Hirschfrau: auch die Zeichnungen, ein eigenständiges Medium in ihrem Werk, setzen solche Mischwesen und Symbiosen ins Bild. Pflanze und Tier und das Mädchen sind mit Bleistift auf großformatigen Papieren delikat und differenziert gezeichnet in meditativem Prozess. Da sitzt etwa ein Hirsch in einem Nest mit Äpfeln. Ein Mädchen mit einem nach vorne offenen Schneckengehäuse im Schoß ist mit pflanzlichen Schlingen einem Hirsch und den Sträuchern und Blättern verbunden (Ohne Titel, 2008). Eine merkwürdige Kommunität von Hirschen trifft auf am Boden verstreute Gehäuse von Schnecken… Ist das “eine Art von geschichtslosem Naturraum”, “eine gewisse geisterhafte Naturmythik, der auch die romantische Tradition verpflichtet ist”, oder haben jene Traumbilder ihren “Sitz” im politischen, sozialen und kulturellen Kontext? Erscheint das Tier, Symbol des Männlichen, als Metapher für Last und Bedrohung, Zerstörung und Verwüstung (und wo sie herkommen wächst kein gras mehr, 2009) oder für den Wunsch nach Verschmelzung? Imaginationen von Weiblichkeit als Beitrag zum Diskurs von Geschlechterrollen, von Machtverhältnissen? Der weibliche Körper als Projektionsfläche politischer und sozialer Ideologien? Ein Spiel mit religiöser Symbolik? Alles Spekulation. Es ist eine Fremdheit, ein Geheimnis um diese Figuren und Konstellationen und eine Schönheit und Präsenz.
Ausstellungen
2019 | »Ferdinand«, Kloster Beuerberg, »Elke Härtel / Stephan Huber«, Charim Galerie, Wien »Zwischenräume«, Edition 2018 – Verein für Christliche Kunst München, Maurer Zilioli – Contemporary Arts München »Papierarbeiten III« Galerie MaxWeberSixFriedrich, München |
2018 | »Rapunzel & Eloise, Elke Härtel, Stephan Huber |
2017 | »Rapunzel«, Skulpturenprojekt in Zusammenarbeit mit Petra Giloy-Hirtz |
2016 | »Die 7 Todsünden«, Verpackerei Gö, Kulturraum Allgäu, Görisried (Ausstellungskatalog) |
2015 | »13 Künstler | 13 Räume«, |
2014 | »P 79«, Galerie MaxWeberSixFriedrich, München |
2013 | »Es war einmal ...«, 12. RischART_PROJEKT, Alter Botanischer Garten, München (Ausstellungskatalog) »Papierarbeiten II – 70er Jahre bis heute«, Galerie MaxWeberSixFriedrich, München |
2012 | »Verwandlungen«, Diözesanmuseum Freising, |
2011 | »im zimmer der prinzessin«, Debütantin der GEDOK München e. V., Katalogpräsentation, galerieGEDOKmuc, München (Einzelausstellung, Ausstellungskatalog) |
2010 | »SHIVERING TUNES«, Kunstsommer 2010 – 2. Zyklus, Meisterschüler der Akademie der Bildenden Künste München, Kunstverein Oberhausen »Eitner-Härtel-Märkl-Egger«, |
2009 | »Natur und Schöpfung«, ALTANA Kulturstiftung gGmbH im Sinclair-Haus, Bad Homburg (Ausstellungskatalog) |
2008 | »FAVORITEN 08 – Neue Kunst in München«, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München (Ausstellungskatalog) »Traumbilder«, Ovalsaal der Residenz, Bayerische Akade- mie der Schönen Künste, München (Einzelausstellung) |
2006 | »modern06 – Zeitgenössische Tendenzen«, Max-Joseph-Saal, Residenz München |
2005 | »1067 KM«, Klasse Stephan Huber, Kreuzherrnsaal, Memmingen |
2004 | »ausflug«, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Oberpfaffenhofen, Weßlin |
2003 | »Ausstellung zum 12. Kunstpreis der Stadt Aichach 2003«, Kreuzgratgewölbe, Kunstverein Aichach e. V. |
Photograph: Thomas Dashuber